Predigt zum Sonntag Kantate

3. Sonntag nach Ostern, Kantate, 10.Mai 2020

 

Gottesdienste sind wieder möglich. Wenn auch in ungewohnter Form.

Strenge Hygienevorschriften, Mundschutz, Sicherheitsabstand, kein Gesang oder gemeinsames Sprechen, nicht selten auch Anmeldung zum Gottesdienst, weil die Plätze durch die Maßnahmen beschränkt sind.

Bei uns vermutlich auch.

Wie ist die Planung für Bad Abbach?

In unseren Ausweichraum in der Rehaklinik können wir nicht, in der Kreuzkirche müssen noch ein paar Kleinigkeiten erledigt werden und die Einhaltungen der Bestimmungen für Gottesdienste vorbereitet werden. Wir hoffen, an Pfingstsonntag den ersten Gottesdienst feiern zu können. BITTE UNBEDINGT PRESSE UND/ODER HOMEPAGE BEACHTEN.

Auch Himmelfahrt im Kurpark ist noch im Gespräch.

 

Wie gesagt, am 10. Mai werden in vielen Gemeinden wieder erste Gottesdienste gefeiert, wenn auch unter Bedingungen, die manche Gemeinden zögern lassen. Vor allem das Fehlen des gemeinsamen Gesanges wird sicherlich schmerzlich empfunden und wird sehr deutlich machen, dass noch lange nicht alles gut ist. Jede Gemeinde wird hier ihren eigenen Weg finden müssen. Und doch: Es ist ein Zeichen der Hoffnung. Wir werden, wenn alles vorbei ist, anders Gottesdienst feiern, als vorher, und neben dem gewohnten Gottesdienst werden all die Formen treten, die sich in den letzten Wochen so erstaunlich entwickelt haben. Wenn wir geduldig sind, werden wir auch gestärkt aus der Krise hervorgehen. Das können wir aus der Erinnerung Israels an Exil und Wiederbeginn mitnehmen.

 

Die Erzählung von der Einweihung des Tempels Salomos in Jerusalem als Ausdruck der Freude darüber, dass auch nach langer Zeit der Verbannung der Glaube nicht untergegangen ist, ist der vorgeschlagene Predigttext für den 10. Mai. Im Alten Testament heißt es:

 

Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat ist. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

 

Liebe LeserInnen!

 

Im Jahre 586 ereignete sich eine Katastrophe: Die Stadt Jerusalem wurde von den Truppen des babylonischen Königs Nebudkadnezar erobert und zerstört. Ein großer Teil der Einwohner, vor allem die Oberschicht, wurden gefangengenommen, sofern sich nicht fliehen konnten oder erschlagen wurden. Am schlimmsten aber war: Der Tempel Gottes auf dem Berge Zion wurde vollkommen zerstört und ausgeplündert. Das geistliche Herz des Volkes Israel hatte aufgehört zu schlagen. Kein Gottesdienst mehr an geweihter, heiliger Stätte. Die Wunde, die hier geschlagen wurde, blutete lange, im Judentum bis heute. Die Gefangenen wurden deportiert, hunderte Kilometer durch die Wüste bis in die Stadt Babylon. Dort lebten sie im Exil, fern der Heimat, fern vom Tempel. Der Schock saß ungeheuer tief. Der Psalm 137 ist eine starke Erinnerung an diese Zeit, er drückt die ganze Trauer und den Schmerz aus: „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangen hielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: »Singet uns ein Lied von Zion!« Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande?“

 

Das Singen war ihnen vergangen. Jedenfalls die Art des Singens, die bisher im Tempel stattfand, begleitet von der Harfe, dem Instrument des Königs David, der seinem Volk, so lautete jedenfalls die Legende, so viele schöne Lieder geschenkt hat. Das Volk verstummte. Was tun ohne Tempel?

Doch sie fanden eine Lösung. An die Stelle der alten Rituale trat etwas Neues. Die Priester und Ältesten, die Gelehrten und die Kundigen fingen an, die alten Geschichten zu sammeln und sich zu erzählen. Das, was wir heute das Alte Testament nennen, die hebräische Bibel, nahm dort ihren Anfang. Eine neue Art des Gottesdienstes entstand. Ein Gottesdienst, der keinen Tempel braucht und keinen Priester, ein Gottesdienst, den man in den Häusern und in einfachen Versammlungsorten feiern kann, ohne Opfer, ohne Weihrauch, ohne Aufwand. Ein Gottesdienst, der die Herzen berührte und die Erinnerung wachhielt, der die Menschen zusammenhielt in einer gemeinsamen Hoffnung: die Hoffnung auf Rückkehr. Und sie fingen doch wieder an zu singen, aber anders als vorher: Viele unserer Psalmen, die wir mit dem Volk Israel bis heute teilen, stammen aus dieser Zeit. Das Gotteslob, das Nachdenken über den Lauf der Geschichte, die Bitte um Vergebung und Versöhnung, der Zuspruch von Gnade und Zuversicht: Das alles kam nicht zum Erliegen, es suchte sich nur neue Formen, einen neuen Ausdruck. Der Tempel war zerstört, der alte Gottesdienst erledigt, aber der Glaube nicht. Er ging, in mancher Hinsicht, sogar gestärkt und erneuert aus dieser ungeheuren Krise hervor.

 

70 Jahre war das Volk – oder zumindest diese Gruppe des Volkes – in der Gefangenschaft im fernen Babylon: zweieinhalb Generationen. Und dann geschah das Wunder, mit dem keiner mehr wirklich gerechnet hatte: Der Perserkönig Kyros eroberte die Stadt Babylon und entließ die Juden, wie sie sich jetzt nannten, in ihre Heimat. Nicht alle kehrten zurück. Aber die, die zurückkehrten, hatten nur einen Wunsch: Den Tempel wieder aufbauen, wieder Gottesdienst feiern, wie man ihn gewohnt war – auch wenn der nur noch eine Erinnerung war, Augenzeugen dürften keine mehr gelebt haben. Das war im Jahre 538.

 

Doch es dauerte noch. Es gab auch Streit darüber: Brauchen wir den Tempel wirklich? Haben wir nicht andere neue Formen gefunden, Gottesdienst zu feiern? Sollen die Tempeltrümmer nicht so bleiben, als Mahnung und Erinnerung? Am 1.April 515 v.Chr. war es endlich so weit: Der Tempelneubau wurde feierlich eingeweiht. Und zur Erinnerung daran, erzählt das Buch der Chronik, das aus dieser Zeit stammt, davon, wie die Einweihung des ersten Tempels, den der König Salomo gebaut hatte, vonstattenging. Der neue Tempel knüpfte an den alten Tempel an, vor allem an einem Punkt: Es gab viel Musik. Es wurde wieder gesungen. Es wurde wieder Musik gemacht. Und es war dieser Moment der Musik, der zugleich der Moment war, an dem Gott wieder in den Tempel einzog. So wie es damals war, so sollte es auch jetzt sein: In der Musik verschmelzen alle zu einem Volk, zum Volk Gottes, und er wohnt in ihrer Mitte. Wir hören noch einmal den zentralen Vers:

 

Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertundzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus des HERRN erfüllt mit einer Wolke, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.

 

Was für ein gewaltiges Bild eines Festgottesdienstes!

 

Das Erstaunliche an dieser Geschichte ist: Obwohl der Gottesdienst, wie man ihn kannte, über Generationen nicht stattfinden konnte, obwohl das Zentrum, die Mitte des Volkes zerstört und vernichtet war, war doch der Glaube nicht untergegangen. Er hatte sich neue Formen gesucht, und die wurden auch beibehalten. Am Ende war nach der langen Zeit der Krise, die alle so erschüttert hatte, der Glaube reicher geworden, als er vorher war. Das Volk sang wieder, und es sang neue Lieder. Es gibt einen Psalm, der wie eine Antwort auf den Psalm 137 klingt, und das ist auch der Psalm, aus dem Wochenspruch für die Woche stammt, der diesem Sonntag seinen Namen gab: Kantate! Singet! Er lautet: Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm! (Psalm 98).

 

Es tut gut, das heute, an diesem Sonntag Kantate im Jahre 2020, zu hören. Manches an der Geschichte kommt uns doch bekannt vor. Auch wir haben jetzt lange Zeit auf den Gottesdienst, wie wir ihn kannten, verzichten müssen. In vielen Gemeinden werden heute vorsichtig und zaghaft vielleicht, aber auch fröhlich und erleichtert, wieder Gottesdienste gefeiert. Nicht in allen. Denn nicht überall lassen sich die Bestimmung der Hygiene und des Schutzes vor Ansteckung gut umsetzen. Manche Gemeinden zögern, weil sie fürchten, dass selbst diese Vorsichtsmaßnahmen nicht reichen, die Menschen zu schützen, die gefährdet sind. Manche Gemeinden zögern, weil sie sagen: Also dieser Gottesdienst ist nicht der, den wir wollen, lasst uns warten. Denn ein Element fehlt, dass doch für den Gottesdienst so wichtig ist, und von dem uns unser Bibeltext heute so eindrücklich erzählt: der Gesang. Das hat sich in den letzten Wochen und Monaten weltweit gezeigt: Ausgerechnet das gemeinsame Singen ist besonders gefährlich, weil es die Luft mit Viren füllt. Ganze Chöre haben sich angesteckt in der Anfangszeit der Pandemie, trotz Vorsichtsmaßnahmen. Das ist traurig. Auch dort, wo heute Gottesdienst gefeiert wird, trägt er noch deutlich die Zeichen der Zeit. Wir dürfen nicht singen. Das volle Gotteslob, die volle Gemeinschaft können wir noch nicht erleben. Wir dürfen uns immer noch nicht so nahe kommen, wie wir es gewohnt sind und wie uns guttut. Ein bisschen sind wir immer noch im Exil. Die Stille in unseren Gottesdiensten erinnert und ermahnt uns: Es noch nicht alles gut. Es ist noch nicht vorbei. Und doch: Es ist ein Anfang, es ist ein Wiederanfang.

 

Und noch etwas ist geschehen, das an diese alte Geschichte erinnert und uns mit Hoffnung erfüllen kann in dieser immer noch bedrückenden Zeit: Der Glaube durfte zwar nicht mehr laut und öffentlich singen, aber er verstummte nicht. Wie im Volk Israel im Exil wuchsen neue Formen des Gottesdienstes: Im Fernsehen, im Internet, als Gottesdienste zum Mitnehmen an den Kirchentüren, als Telefongottesdienste, als Videobotschaften: Es gab nie ein Gottesdienstverbot, wie immer gesagt wird, es gab nur ein Verbot, ihn öffentlich in der Gemeinschaft zu feiern. In unseren Herzen aber haben wir weitergefeiert, ganz wie der Apostel Paulus schreibt: Wisst ihr nicht, dass Euer Leib der Tempel Gottes ist und Gott in Euren Herzen wohnt?

 

Egal, wie einzelne Gemeinden das jetzt in den nächsten Wochen und Monaten handhaben werden: Wenn wir nicht aufhören, in unseren Herzen Gott zu loben und zu singen, werden wir eines Tages auch wieder gemeinsam zusammen sitzen und singen, es wird ja hoffentlich keine siebzig Jahr dauern. Das wird dann ein Gotteslob sein, wie wir es lange nicht mehr gehört haben, ein Gotteslob derer, die eine lange Zeit des Exils und der Fremde überstanden haben. Bis dahin lasst uns Gott in der Stille loben und nicht verzagen: Gott ist mit uns, alle Tage, bis an der Welt Ende. Das ist das neue Lied, das wir singen gegen die alte Leier von Leid und Untergang. Das ist der wahre Gottesdienst im Alltag der Welt und im Tempel unseres Leibes.

 

Bleiben oder werden Sie gesund!

Und geben Sie die Hoffnung nicht auf.

 

Ihr Pfarrer F. König